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Über die Stücke von Nigel Williams
Die weitreichende Übereinstimmung bezüglich Struktur und Thematik der Hauptwerke
von Nigel Williams deutet darauf hin, daß seine bisherige Arbeit wohl weniger als eine Entwicklung zu bezeichnen ist, sondern doch eher als eine geduldige und umfassende
Bearbeitung eines einzigen Dramenstoffes. Nigel Williams Stücke untersuchen die Interaktion und Beziehung einer Handvoll stark gegeneinander abgegrenzter Charaktere,
die durch äußere Umstände von der Außenwelt abgeschnitten wurden oder sich ihrer aus eigenem Antrieb entziehen und so eine in sich geschlossene Gruppe bilden. Die überzeugende und kritische Wiedergabe des Cockney-Akzents
(Londoner Unterklassen-Akzent) ermöglicht es Williams, eine intensive negative Atmosphäre der Klaustrophobie innerhalb des dramaturgischen Rahmens zu erzeugen.Die Stücke werden
beherrscht von einer einzigen immer wieder leicht variierten Bühnenfigur: eine aufdringlich rechthaberische und gewalttätige
Verkörperung der Zerstörung. Er (oder sie) nimmt keinerlei erkennbare Position einnimmt, sei es zu sozialen, sexuellen oder
politische Fragen, sondern zielt einzig und allein darauf ab, diese Meinungen, die von den übrigen Personen dargestellt werden, sowohl mit
verbaler als auch körperlicher Gewalt zu zerstören. Obwohl das Thema jedes dieser Stücke, sei es nun Rasse, Klasse oder Geschlecht zumindest
indirekt politisch ist. Stellt doch die Gegenwart dieser zentralen Figur sicher, daß der Stoff weniger politisch als psychologisch behandelt wird.
Diese Figur treibt unterschwellige Spannungen auf die Spitze und sie somit an die Oberfläche, was sie bisweilen bis an die Grenze des der Zerstörung
führt. Deren gereist "zivilisierte" Regelgebäude ein und legt nicht politische oder wirtschaftliche Gründe offen, sondern atavistische, archaische Triebe.
Über Class Enemy
Uraufgeführt: London, 1978; New York 1979. Erschienen: London, Eyre Methuen, 1978.
In Class Enemy tauchen diese archaischen Triebe deutlich auf. Die Spannungen und der schlußendliche Konflikt
treten hier nicht zwischen verschiedenen Gruppen zutage, sondern innerhalb einer einzigen Gruppe. Sechs
"Zehntklässler" einer Londoner Schule vertreiben sich den Nachmittag, indem jeder von ihnen eine Unterrichtsstunde über
sein Lieblingsthema hält. Auf der einen Seite steht Iron, der das rechthaberische und herrschsüchtige und gewalttätige Produkt
seines hoffnungslosen Großstadtmilieus ist; er vertreibt seinen Pessimismus, indem er genüßlich anders Denkende herabkanzelt.
Sein Gegenspieler ist Sky-Light (natürlich gilt auch für die Spitznamen: nomen est omen), der trotz der sozialen Umstände
sein Vertrauen in die prinzipielle Güte des menschlichen Wesens behält und die Welt weiterhin in einem strahlenden Licht sieht. Zwischen ihnen entbrennt die Rivalität um die Vorherrschaft über die Gruppe. Iron gewinnt zwar den
Kampf, aber es Sky-Light stellt fest, daß die Iron innewohnenden selbstzerstörerischen Tendenzen und die vergeblichen Suche nach
"Knowledge", die er nicht näher definieren kann, seine "Philosophie", ihn als das wirkliche Opfer, den Verlierer, offenbaren.
Über Nigel Williams
Brite. In Cheadle, Cheshire, am 20. Januar 1948 geboren. Besuch der Highgate School, London; Oriel College, Oxford. Vater von drei Söhnen.
1978 Preisträger des Sommerset Naugham Awards für Literatur. Bisher wurden Dramen, Fernsehspiele, Romane und Kinderbücher veröffentlicht.
Regisseur eines Fernsehspielfilms und einer Dokumentation.
Alle Texte in diesem Programmheft entnommen aus: Paul Lawley on Contemporary Dramatists, 4th ed., London, 1988
The CAST
Class Names
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Real Names
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Actor
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SWEETHART
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SOWERTHWAITE
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Jochen Wolf
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RACKS
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RAKES
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Jan Ostmeyer
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NIPPER
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NAPIER
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Stefan Enderle
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SKY-LIGHT
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SKELLET
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Manuel Künstner
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IRON
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HERRON
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Christian Kaiser
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SNATCH
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CAMERON
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Stefan Lang
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1ST MASTER
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Karl-Heinz von Daumiller
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2ND MASTER
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Henrik Schlobat
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poster
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Manuel Küstner
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programme
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Dieter Ungelehrt
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prompt
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Flora Herberich
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speech training
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Alison Wilson
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make-up and hairstyling
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Ricarda Wagner, Alison Wilson
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costumes and props
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Ricarda Wagner, Alison Wilson
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stage and set
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Georg Coulin and the crew
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lighting
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Tomasz Jarczok
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stage manager
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Ricarda Wagner
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directed and produced by
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Dieter Ungelehrt
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Was die Presse sagte
Augsburger Allgemeine
Sechs Stühle bei der Premiere zertrümmert
Die englischsprachige Gruppe "KiDS" präsentiert Theater der knallharten Sorte
Königsbrunn
Sechs Stühle wurden bei der Premiere zertrümmert. Theaterblut floß reichlich.
Schultheater der knallharten Sorte präsentiert derzeit die englischsprachige Theatergruppe "KiDS" des Gymnasiums Königsbrunn mit dem
sozialkritischen Stück "Class enemy" von Nigel Williams. "Die Stühle waren ausrangiert, und im Keller sind noch genügend für alle
Aufführungstermine", bemerkte Regisseur und Gruppengründer Dieter Ungelehrt nach der erfolgreichen Premiere. Eine Premiere im mehrfachen
Sinne war's für alle Akteure: Erstmals spielte diese neuformierte Truppe, die erst seit wenigen Monaten übt und probt. Keiner der Akteure hatte je zuvor
auf der Bühne gestanden und erstmals präsentierte Lehrer Ungelehrt am Königsbrunner Gymnasium englisches Theater.
Gleich in die vollen
Und dabei ging das junge Ensemble gleich in die vollen. Voller Körpereinsatz
nämlich war gefordert in einem Stück, das von den Aggressionen, Ängsten, Träumen und Hoffnungen von sechs jungen Männern erzählt, die dramatische Stunden in ihrem
Klassenzimmer einer Gesamtschule im Süden Londons erleben.
Eine "Unterrichtsstunde"
Als der Unterricht ausfällt, vertreiben sich die sehr unterschiedlichen Buben die Zeit damit, eine
"Unterrichtsstunde" zu ihrem Lieblingsthema zu halten. Sweetheart (Jochen Wolf) referiert über Sex, ergötzt
sich an den Derbheiten, als es aber um mehr als den technischen Vorgang geht, oder gar das Wort "Liebe" fallen müßte, muß er völlig entnervt passen.
Ähnlich ergeht es seinen Klassenkameraden Rakes (Jan Ostmeyer), der über Blumenkästen spricht, Nipper
(Stefan Enderle), der rassistisch über die Schwarzen herzieht, oder Snatch (Stefan Lang), der als Farbiger
seinen Frust mit Zerstörung kompensiert. Sein Lieblingsthema: zerschlagene Fensterscheiben.
Die großen Kontrahenten, ja Klassen-Feinde, sind aber der tyrannische Herron (Christian Kaiser) und der noch immer von Hoffnung durchdrungene Skellet (Manuel Künstner).
Ihr Widerstreit durchzieht das ganze Stück. Reagiert Herron auf alle Ungerechtigkeiten und die miesen
Umstände seiner Existenz mit Gewalt, versucht Skellet noch Positives zu entdecken und erinnert an Werte
und Gefühle im menschlichen Miteinander. Nach heftigen Prügelszenen und einem Zornausbruch des
verzweifelten Herron, der selbst mit einem Zusammenbruch endet, warten die Buben auf jemanden, der sie
aus dem Dreck ziehen könnte. Ob jedoch der erwartete Lehrer erscheint, auf den all diese Erwartungen wie
auf eine Lichtgestalt projiziert werden, bleibt offen und fraglich.
Keine rettende Distanz
Mit ungeheurer Intensität und Sprachsicherheit verkörpern die Darsteller diese kaputten Figuren und bringen
sie dem Publikum fast erschreckend nahe. Da gibt es keine rettende Distanz mehr zwischen Bühne und Parkett.
Das muß der Betrachter miterleben. Erschrecken packt so die desolate Gefühlswelt dieser Existenzen, die
geballt die Defizite einer unsozialen Gesellschaft widerspiegelt: zerstörte Familien, Lieblosigkeit, Armut, Intoleranz, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Gewalt...
Größte Anerkennung verdient diese satte Ensembleleistung, an der auch zwei weitere Lehrer des
Gymnasiums ihren Anteil haben. In Nebenrollen erscheinen Karl-Heinz von Daumiller und Hendrik
Schlobat; und irgendwie war es sicher tröstlich, daß es ein Lehrer war, der für den einzigen Patzer bei der Premiere sorgte.
Zahlreiche Proben
Seit rund einem Jahr standen sämtliche Mitwirkende auf und hinter der Bühne in zahlreichen Proben. Wie
intensiv diese Arbeit mit Dieter Ungelehrt erfolgt sein muß, das war der schauspielerischen Qualität der
Gruppe deutlich anzumerken. Das schwierigste sei gewesen, so berichtet der Regisseur, die Darsteller zu
bewegen, so drastisch die geforderten Aggressionen herauszulassen und ins Spiel einzubringen. Sich in
dieses völlig fremde Verhaltensmuster einzufühlen, habe die Schüler viel Überwindung gekostet.
Dieses provokative Stück endlich einmal auf die Bühne zu bringen, ist nach den Worten von Dieter
Ungelehrt schon immer sein Traum gewesen. Er, der selber im Anglistentheater spielte und bereits eine
englischsprachige Theatergruppe am Augsburger Rudolf-Diesel-Gymnasium gründete, hatte - seit der ersten
Bekannschaft mit diesem "Zündstoff" des britischen Autoren - den Wunsch, den "Class enemy" als Schultheater umzusetzen.
Der Erfolg gibt ihm recht und man darf gespannt sein, was diese neue Truppe mit soviel Power noch alles auf die Bühne bringt.
Weitere Aufführung
Eine Zusatzaufführung von "Class Enemy" ist für Freitag, 4. März angesetzt. Beginn ist um 19.30 Uhr in der
Aula des Gymnasiums am Alten Postweg. Kartenvorbestellung unter Telefon (08231) 85075 oder Fax (08231) 87153, ist erwünscht.
Jutta Fiege
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